Tablettenwecker

 Dezember 2008

Einleitung

Papa, mein Wecker weckt um zwei Stunden falsch. Wie stellt man den?  

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  Gute Frage - das ist ein Funkwecker.  

  Also:Batterie raus, warten, Batterie wieder rein.
Nach 5 Minuten zeigt das Teil dann die genaue Zeit. Leider klingelt er um genau 2 Stunden verkehrt. Muss also auf 8 Uhr stehen, um um 6 Uhr zu wecken.
Ok, das ist wohl die Zeitzonenwahl für die Weckzeit. Aber wie einstellen?
Die Anleitung ist natürlich längst zu Recyclingpapier verarbeitet. Also raten.  

  Nachdem ich erfolglos mehrere Kombinationen aus Taste lange drücken und mehrere Tasten gleichzeitig drücken ausprobiert habe, fand ich, diese Zusatzfunktion macht das Produkt unbrauchbar.  

  Meinen Nachttischwecker kann ich ohne Anleitung auch nicht stellen. Drücken Sie drei mal auf Plus und halten sie die Alarm-Taste dann 3s gedrückt, bis die Stunden blinken. Äh, ja. Irgendwas musste man am Ende noch machen, damit die neue Weckzeit aktiv ist. Wahrscheinlich habe ich jetzt nur den Stundengong und nicht den Wecker für Alarmzeit2 aktiviert.  

  Was für'n Quatsch!  

  Das Teil ist doch mehr Deko-Objekt oder Wurfgeschoss...  

Das Problem

Meine Tochter muss ihr Leben lang einmal täglich eine Tablette nehmen, um eine kleine Fehlfunktion auszugleichen.  

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Möglichst um die gleiche Zeit.
Und 30 Minuten vor einer Mahlzeit.  

  Dazu hat sie 2 Wecker. Einer weckt immer um 6:00Uhr - Tablette einwerfen, umdrehen, weiterschlafen.
Das kann sie inzwischen, ohne richtig wach zu werden.  

  Der andere Wecker weckt sie, wenn sie aufstehen muss.  

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Meine Lösung

Die Zeit ist reif, dass die Welt einen Wecker bekommt, der mit ganz wenigen Zeilen Bedienungsanleitung auskommt.  

  Die Firma Atmel hat eine Serie von Prozessoren mit extremer Stromspartechnologie (Pico-Power) herausgebracht.  

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Die brauchen im Schlafmodus so gut wie keinen Strom, können dabei aber einen 32768Hz Quarzoszillator weiterlaufen lassen.
Das wäre ein super Chip, um einen Wecker zu bauen.  

  Also habe ich gleich versucht, mir den kleinsten aus der Serie - einen AtMega48P oder 88P zu bestellen. Die gab's aber nirgendwo.  

  Also habe ich versucht, an Muster zu kommen. Außer dass man mir mehrfach versprochen hat, jetzt aber wirklich 2 Chips loszuschicken habe ich allerdings nichts bekommen.  

  Letzte Möglichkeit: Aus USA importieren. Das war mir aber zu teuer..  

  Irgendwann ist mir dann ein Angebot für einen AtMega324P und 624P in die Hände gefallen. Hm, 40 statt 28 Beine. Egal, auch der kommt mit schlappen 600 Nanoampere aus.  

   

Bedienkonzept

Da wollte ich mal was außergewöhnliches machen: Die Bedienung soll so simpel wie möglich sein.  

  Da der einzige Zweck ist, um sechs zu piepsen, brauche ich keine Bedienelemente außer einem Taster, um das Piepsen zu beenden. Weder Display noch Zeitzonenwahl. Weder 3 Alarmzeiten noch Nachweckfunktion. So schlicht wie möglich!  

  Das Teil soll aber kein Funkwecker sein, weshalb ich irgendeine Möglichkeit brauche, die Uhr zu stellen.  

  Hier die simpelste Art, eine Nicht-Funk-Uhr zu stellen:
Das macht man bei dem Teil einfach, indem man die Batterie zur richtigen Zeit einlegt - fertig!  

  Hier kommt sie nun, die ultimative Bedienungsanleitung für den innovativsten und am einfachsten zu stellenden Wecker den ich kenne:  

 
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Bedienungsanleitung

Legen Sie die Batterie genau 10 Stunden vor der gewünschten Weckzeit ein.
Der Wecker piepst nun täglich um die gleiche Zeit.
Das Piepsen endet nach 20 Piepsern oder durch drücken der Taste.
Die Batterie CR2032 bitte alle 10-15 Jahren wechseln , um einem auslaufen vorzubeugen.  

 
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Das ist doch mal eine kurze und knappe Anleitung - oder?  

  Was passiert da im einzelnen?  

  Wenn man die Batterie einlegt, läuft die Uhr los. Nach 10 Stunden geht der Alarm los. Und dann kommt der Alarm immer nach genau 24 Stunden.  

  Wenn meine Tochter also um 6 Uhr geweckt werden will, muss sie die Batterie abends um 20 Uhr einlegen. Zwei mal im Jahr, wenn die doofe Sommerzeit-Umstellung ist, muss sie die Batterie kurz rausnehmen (1/10s reicht).
Im Frühling um 19 Uhr, im Herbst um 21 Uhr.  

  Die Batterie hält theoretisch 30 Jahre bei 20 Sekunden piepsen am Tag.  

   

Probeaufbau

Erstmal habe ich eine Pappschachtel benutzt:  

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Da so ein 32768Hz-Quarz etwas ungenau ist, wird die Uhr etwas falsch gehen. Eigentlich egal, zwei mal im Jahr wird sie ja wieder neu gestellt.  

  Bei den Software-Versuchen fiel auf, dass der Wecker doch ziemlich falsch geht.  

  Der erste Probeaufbau zeigte, dass der Quarz mit 32777Hz schwingt - 9Hz zu schnell.
Damit geht die Uhr knapp eine halbe Minute am Tag vor
- Macht eineinhalb Stunden im Halbjahr -
völlig unbrauchbar!  

  Statt nun mit Kondensatoren den Quarz etwas zu ziehen, wird das komplett in Software ausgeglichen.
Wahrscheinlich hängt die Frequenz aber von der Batteriespannung und von der Temperatur ab. Ich muss das also irgendwie abgleichen können.  

  Gut, dann kommt halt ein etwas komplizierteres Bedienelement mit rein: Der Wecker enthält nun zwei Drehschalter, mit dem sich der Quarz kalibrieren läßt.  

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Der Linke bestimmt, ob die Uhr langsamer oder schneller laufen muss. Von 0..7 wird sie langsamer, von 8..F schneller. Eine Stufe des linken Schalters ändert die Zeit um 8s je Tag, eine Stufe des rechten Schalters um 0,5s am Tag.
Die Stellung 8-1 bewirkt also, das die Uhr (0x8 + 1x0,5) x 7 = 3,5s je Woche schneller wird.
9-2 wären dann (1x8 + 2*0,5) x 7 = 63s je Woche.
Letztes Beispiel: 0-F sind 0*8 + 15*0,5 = 7,5s je Tag (52,5s je Woche)  

  Da man morgends um 6 keinen Bock hat zu testen, ob der Wecker noch genau geht, piepst er zur Batterieeinlegezeit täglich einmal ganz kurz.
Wenn ich also nach einer Woche feststelle, dass es abends um 7s vor 20 Uhr kurz piepst, muss ich den rechten Drehschalter 2 Schritte weiterdrehen.  

  Das kann sich kein Schwein merken. Und deshalb ist's auf dieser Webseite mit so vielen Beispielen festgehalten, damit meine Tochter da in 5 Jahren mal nachschlagen kann.  

Software

Das ist gewöhnlich ein ziemlich trockenes Kapitel.  

  Die Software ist in C geschrieben, teilweise jedoch mit Assembler gespickt.
Im wesentlichen schläft der Prozessor, bis der Quarz-Oszillator-Timer nach 8s überläuft und den Prozessor weckt.
Ich habe ziemlichen Optimierungsaufwand getrieben, damit er schnell wieder einschläft und damit aufhört, so entsetzlich viel Strom (0,1mA) zu verbrauchen. Alle Variablen und die meisten Konstanten sind fest Registern zugewiesen. Der vom GCC-Compiler üblicherweise in Interrupt-Routinen erzeugte Code zum speichern der Register wurde abgeschaltet. Das Piepsen wurde mit einem Hardwaretimer realisiert.  

  Schaltpläne und Layout hab ich als PDF-Dateien zusammen mit dem Quellcode der Software hier hinterlegt:

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95_tablettenwecker.zip
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Die Hardware

Die Platine ist recht klein gehalten. Oben sitzt der Prozessor  

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  Unten der Quarz, der Batteriehalter, der Steckanschluss für das Programmiergerät und die Drehschalter.  

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Der Quarz und der Batteriehalter wurden aus einem Motherboard recycled:  

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Das Gehäuse

Wir haben uns für eine Pyramiedenform entschieden. Hier ein paar Bilder aus der Bauphase:  

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Oh - da ist ja 'ne falsche Batterie drin. Die hält doch höchstens 12 Jahre. Muss ich nochmal wechseln...
Letztendlich sieht das Teil so aus:  

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Hier die praktische Einknopfbedienung im Einsatz:  

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Aber der Seitenquelltext (strg-U) sieht auch interessant aus, zumindest wenn man ihn mit einem Monospace Font in sehr kleiner Schriftgröße betrachtet.

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