Wenn der Postmann 3x klingelt

 September 2009


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Ausgangssituation

Mein Bandschleifer wird mit "Viel Kraft für viel Abtrag" beworben, gemeint ist aber "Viel Krach für viel Abtrag".
Ohne Gehörschutz ist das Teil in geschlossenen Räumen jedenfalls eine Zumutung.  

  Nachdem ich im Bastelkeller 'ne Weile mit dem Brüllschleifer Holzstaub produziert habe, war ich auf dem Weg in die Küche, als ich durch das kleine Fenster in unserer Haustür den Rücken meiner Frau sah. Aus Neugier, mit wem sie sich da wohl unterhält, habe ich die Tür aufgemacht.  

  Sie stand allein da draußen und war so richtig sauer. Und das auch noch zu Recht. Da habe ich mir was anhören müssen:  

  Seit Ewigkeiten würde sie vor der Tür stehen und klopfen und klingeln. Erst normal, später als minutenlanger Dauer-Ding-Dong. Und keine Sau hätte ihr aufgemacht. Schlüssel und Handy nicht dabei, aber Haustür zugefallen. Warum wir sie aussperren würden. Drei Leute im Haus und keiner kriegt den Arsch hoch um mal zur Tür zu gehen. Ich kann froh sein, dass noch alle Scheiben heil sind. Was hätte sie denn machen sollen?  

  Eigentlich hätte es doch einer von uns hören müssen. Aber weder das melodische Ding-Dong der Haustürklingel noch das Tüdelüt der Funk-Verlängerung der Klingel fanden den Weg ins iPod-verstöpselte Ohr der größeren Kinder. Die Kleinste war bei Nachbarn und ich halt am schleifen.  

  Das darf natürlich nie wieder vor kommen!
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Mögliche Lösungen

Die naheliegenste Lösung wäre: Ich kriege einen nagelneuen flüsterleisen Bandschleifer. Aber ich fürchte, sowas gibt's auf dem hiesigen Weltmarkt noch nicht. Äh, und die Kreissäge kriege ich auch nicht leise.  

  Den Kindern die Ohrstöpsel wegnehmen wäre keine Lösung, dann wird halt wieder laut gehört. Ärks: wir haben nicht mehr den gleichen Musikgeschmack...  

  Also muss ein anderes Schloss an die Tür, welches ohne verlierbaren Schlüssel funktioniert.  

  Optimal wäre, die ganze Familie zum Tierarzt zu schleppen und chippen zu lassen. Dann einen RFID-Empfänger Typ "Katzenklappe" an die Tür basteln und wir können schlüssellos ein und ausgehen.  

  An sich eine prima Sache, aber meine 4 Frauen haben da Bedenken mit 'nem Chip im Nacken rumzulaufen. Da sie auch keinen Bolzen in der Zunge haben, musste ich das gelten lassen. Dabei kenne ich einen echt guten Tierarzt. Der macht sogar Hausbesuche!  

  Bleibt das gute alte Zahlenschloss mit den bekannten Nachteilen: Eine kurze Nummer läßt sich zu einfach raten, eine lange Nummer wird vergessen. Oder mal geändert. Schon wieder Essig.
Retinascanner und Fingerabdruckscanner finde ich draußen unpraktisch - in welcher Höhe soll ich das Ding anbringen. Wäre auch blöd, wenn die Kleine mal verheult nach Hause kommt und der Retinascanner sie nicht an Mamas tröstende Brust läßt. Oder ich mit 'ner Schnittwunde im Finger draußen bleiben müßte.  

  Also mache ich die Klingel lauter.
Oh, was gibt es da feine Sachen zum rumlärmen!  

  Ein Diaphon erscheint mir ein recht brauchbarer Ansatz. Hier ein paar Links zu solchen Teilen:
Wikipedia
Diaphone-Sound
Diaphon-Video (avi)
Schöne Tröten gibt's in Kiel bei Zöllner GmbH. Schaut euch mal die technischen Daten vom Zet-Horn 70 AC an. (KLICK)
Der Schalldruck mit 143dB und die Optik sind ja wohl astrein. Ich würde das Horn glatt dekorativ in den Vorgarten stellen.
[Bild WAF-Rot]
Man kann nicht alles haben...  

   

Meine Lösung

Auf dem Flohmarkt habe ich eine Schulklingel ergattert. Die hört man selbst mit Stöpsel in den Ohren, Micke-Mouse drübergestülpt und außerdem mit'm Kopf Unterwasser in der Badewanne mit Tür zu. Krasser Sound!  

  Das Teil statt Haustürklingel ist mir aber zu gefährlich (Herzinfarkt, von verärgerten Anwohnern geteert und gefedert), deshalb wird das mehrstufig gelöst.  

  Ein Microprozessor entscheidet in Zukunft, ob die Atom-Klingel nötig ist. Erst wenn jemand draußen Sturm klingelt, bequemt sich das Microhirn irgendwann die dicke Klingel zur Beschallung der ganzen Siedlung freizugeben.  

  Als Sensor dient ein Stromwandler, der den vom Klingeltrafo abgehenden Strom erspürt. Dazu habe ich 5 Windungen Draht durchgefädelt.  

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Und mal eben eine Auswertung aus 3 Widerständen zusammengesteckt.  

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Das führt beim Klingeln zu 0,5V Pulsen alle 20 ms (warum eingentlich nicht alle 10ms?) . Viel zu wenig.  

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Der Wandler ist für Frequenzen ab 15KHz ausgelegt. Aber bei 50Hz tut sich halt auch schon ein wenig.  

  Mit dünnerem Draht habe ich 13 Windungen reingewürgt. Das Signal war dann viel besser.  

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Damit die Hausbewohner nicht verrückt werden, wurde die Klingel während der Tests beruhigt:  

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Interessant ist, wenn man mit dem Scope extrem langsam aufzeichnet. Das gibt statt einem fetten schwarzen Rechteck eine tolle Schwebung:  

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Die Schaltung wurde dann schnell auf Lochraster zusammengefrickelt, weil da grade so 'ne Spezialstreifenplatine rumlag.  

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Hier der Schaltungsentwurf:  

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Drauf werkelt ein ATtiny25  

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Das Teil soll im Zählerkasten direkt neben dem Klingeltrafo wohnen und bekommt deshalb eine Hutschinenhalterung verpaßt. Außerdem ist das gute Stück nun beschriftet.  

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  Ein hochkomplexes Stück Software haucht dem Drahtverhau die nötige Intelligenz ein: nach 7 Sekunden Dauerklingeln wird die Schulglocke zugeschaltet.  

  Am Netzgerät lief das Teil prima. Eingebaut, angeklemmt und schon hört das Grinsen auf.
Die LED signalisiert permanent "Es klingelt gerade jemand". Tut aber keiner. Irgendwo hauen mir da Störsignale rein. Der Klumpatsch ist also viel zu sensibel.
Durch geziehltes Feintuning mit ein paar Kondensatoren und Widerständen ging's dann irgendwann und ich habe alles fein montiert.  

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Die Klingel hängt oben im Treppenhaus  

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Funktionstest: Jep - das Teil hört man überall im Haus!  

 
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  Ich bastel im Keller und habe grade die Drehmaschine angeworfen, da klingelt es Sturm an der Tür. Schreck!
Ich erwarte die Familie erst in Stunden! Was ist passiert?
Also hochgeflitzt - kein Arsch da.
Mist - wer kennt die Klingel und macht auch noch Klingelstreich?  

  Also wieder in den Keller, weiterdrehen. Ich hatte noch keinen Span abgenommen - da klingelt's wieder Sturm. Diesmal war ich etwas langsamer oben - und es war wieder keiner da.  

  Grübel.  

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  Keller - Drehmaschine auf Start. Zähle 1-2-3-4-5-6-7 Sekunden und es klingelt. Maschine stopp - klingeln aus. Maschine an - klingel an.
Ich fass es nicht!  

  Ich habe das natürlich stundenlang Untersucht und letztendlich rausgekriegt: Der ungeeignete Stromwandler kommt bei 50Hz ja nicht recht in Fahrt, weshalb die Auswertung recht empfindlich eingestellt ist. Der Umrichter an der Drehmaschine läuft mit 20KHz - und hat offensichtlich leichte Rückwirkungen auf das Netz. Die gehen problemlos durch den Klingeltrafo und machen astreine Signale am Stromwandler, weil die langen Klingeldrähte als Kondensator wirken und somit ein Strom fließt.  

  Also muss da was anderes dran. Leider brauchen Klingel und Türsummer Wechselstrom, sonst brennen die durch. Deshalb kann man nicht einfach den Spannungsabfall über einem Shunt messen - zumal ich die Schaltung aus dem gleichen Trafo betreibe. Verzweifelte Ideen wie "Spule und Hall-Sensor" oder sogar "unterdimensionierter Widerstand in Reihe mit Temperaturfühler drauf" und ähnlichen Quatsch habe ich irgendwann zugunsten einer echt primitiven Lösung verworfen:
Ich messe die gleichgerichtete Trafospannung. Klingelt jemand, geht die ein ordentliches Stück runter. Zum Glück braucht das Relais etwas weniger Strom als die Türklingel, so dass ich das Loslassen des Klingelknopfes auch erkenne, wenn das Relais angezogen ist.  

  Das macht die Schaltung erheblich einfacher und es fliegt viel von der Platine.  

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Hier das gute (leicht überdimensionierte) Relais dazu:  

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  Diese Schaltung ist nun echt total störsicher!  

  Das ganze Projekt hat aufgrund der hässlichen Bimmel unter'm Dach dann doch nur zu einem
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gereicht.  

  Aber ich kann endlich wieder in Ruhe an meiner Drehmaschine stehen...  

 
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Die Software dazu: tuerklingel.zip
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Mit einem geliehenen Thermoscanner habe ich mal in den Schrank geschaut. Schranktemperatur bei 18°  

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Aber der Klingeltrafo hat eindeutig Fiber!  

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Irgendwann muss ich mal messen, was mich diese Kellerheizung im Jahr so an Strom kostet. Vielleicht lohnt sich ja ein Ringkerntrafo.  

 
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